Buchbesprechung
Wagner, Christian: Neuer Glaube.
Hrsg. v. H. Hepfer. Warmbronn: Christian-Wagner-Gesellschaft 2013.
136 S. m. 1 Abb. Kart. EUR 14,–. ISBN 978-3-9814365-4-9
von Wolfgang Vögele, Karlsruhe
Der Name des württembergischen Dichters Christian Wagner (1835-1918] wird den meisten Theologen unbekannt sein. W. verbrachte den größten Teil seines Lebens in Warmbronn in der Nähe von Leonberg bei Stuttgart. Er lebte auf einem kleinen Hof, betrieb Landwirtschaft und fing an, Gedichte zu schreiben, die er ab 1885 in Zeitschriften und kleinen Sammelbänden veröffentlichte. Damit brachte er es zu weithin anerkanntem literarischem Erfolg: Die Lyrikbände trugen ihm unter anderem die Aufmerksamkeit des jungen Hermann Hesse ein. Zeitlebens empfand sich W. als Sonderling, der in Leben und Werk eine besondere Mischung aus Lyrik, Lebensreform und Landwirtschaft verwirklichte.
Ihren anspruchsvollsten und für Theologen interessantesten Ausdruck fand diese Mischung in dem Werk »Neuer Glaube«; es ist als Katechismus in Fragen und Antworten gestaltet, nach dem Muster des in der württembergischen Landeskirche gebräuchlichen Katechismus von Martin Luther und Johannes Brenz. Brenz nahm den Kleinen Katechismus Luthers als Ausgangspunkt und überarbeitete und ergänzte ihn an mehreren Stellen mit eigenen Fragen.
W. nahm das Modell des Katechismus als Zusammenfassung des christlichen Glaubens ernst und nutzte dieses Modell, um seine eigenen philosophischen und theologischen Überzeugungen zu formulieren, zusammenzufassen und ihnen eine systematische Form zu geben.
Methodisch folgte W. dabei dem Brenzschen Vorbild. W.s Katechismus besteht aus 72 Fragen und Antworten, die sich in drei Teile zu je 24 Fragen aufgliedern. Der erste Teil handelt vom »neuen Glauben« (Frage 1-24), der zweite Teil (Frage 25-48) von der »Rechtsanerkennung« und von »Achtung und Schonung des Lebendigen« (Frage 25), der letzte Teil (Frage 49-71) von der Frage nach der Zukunft und vor allem nach dem Sinn menschlichen Lebens. In W.s Katechismus kommen also (religiöse) Glaubensüberzeugung, Ethik und Handlungsanweisung sowie am Ende Zukunftshoffnung zusammen. Parallel zum Brenzschen Katechismus versieht auch W. seine Antworten mit Begründungen und Zitaten. Allerdings zitiert und begründet er nicht aus der Bibel, sondern aus eigenen Gedichten. Jeder Antwort sind zitierte oder überarbeitete Passagen aus W.s Lyrikbänden angehängt, manche kurz, manche sehr ausführlich.
Der Unterschied zum theologischen Katechismus von Brenz wird schon in dem gewählten Titel deutlich. W. will den »neuen« im Gegensatz zum alten, christlichen Glauben darstellen. Trotzdem bleibt schon in der Anlage von W.s Katechismus die Orientierung an und Auseinandersetzung mit dem alten christlichen Glaubensbekenntnis sichtbar. Auch W, fragt am Anfang (Frage 12), wer oder was als »Gottheit« zu verstehen sei. Aber er definiert im Gegensatz zur christlichen Überzeugung Gottheit als das »bewusste überlegene Etwas außer der Leiblichkeit«. Andere Fragen sind erkennbar im Anschluss an das Vaterunser formuliert; »Bittet der Bekenner des Neuen Glaubens auch ums tägliche Brot?« (Frage 13) An einer anderen Stelle entwickelt W. ein eigenes Verständnis von Auferstehung (Frage 23). Es fällt auf, dass insbesondere das erste Drittel des Katechismus von Fragen bestimmt ist, die unmittelbar Themen des Brenzschen Katechismus aufnehmen, während diese Bezugnahmen sich im zweiten und dritten Teil verlieren. Es geht am Anfang um Gott, Sünde, Glauben, um Dankbarkeit und Auferstehung. Es geht aber auch, für den Brenzschen Katechismus undenkbar, um den Freitod (Frage 21).
Im Laufe seines Gedankengangs formuliert W. dann ein Zentralprinzip, die Formel von der »möglichste[n] Schonung alles Lebendigen« (Frage 24). Diese Formel erinnert nicht zufällig an Albert Schweizers berühmte spätere Maxime von der Ehrfurcht vor dem Leben. In W.s Formel verbinden sich die kritische Auseinandersetzung mit dem Christentum und eine frühe ökologische Naturphilosophie mit Elementen der Lebensreform, wobei W. aber keiner der um die Wende zum 20. Jh. erst langsam entstehenden zivilisationskritischen Bewegungen als Parteigänger zuzurechnen ist. Nicht umsonst zitiert er stets aus den eigenen Gedichten.
W.s Katechismus steht singulär da. Zum einen ist er ein »Dokument der Moderne« (101), wie es der Heidelberger Germanist Burkhardt Dücker in seinem instruktiven Nachwort formuliert, zum anderen ist er durch die gewählte Form des Frage-und-Antwort-Spiels des Katechismus noch ein Dokument, das noch im Modus der Auseinandersetzung dem »alten« Glauben des Christentums verpflichtet ist. Genau diese Ambivalenz mache die Lektüre von W.s Katechismus lohnend, zumal er vieles von den ökologischen Prinzipien formuliert, die Jahrzehnte später erst Eingang in theologische und sozialethische Überlegungen fanden, die sich der Bewahrung der Schöpfung verpflichtet fühlten.
W.s Katechismus war lange vergriffen und nur in antiquarischen Ausgaben zugänglich. Die verdienstvolle Neu-Edition macht dieses lange vergessene Werk wieder zugänglich. Um den Katechismus herum sind ein Vorwort von Uwe Pörksen und ein Nachwort von Burkhard Dücker sowie editorische Notizen von Harald Hepfer gruppiert. Sie ordnen das Werk literarisch, kulturwissenschaftlich und philosophisch in seine unterschiedlichen Kontexte ein, so dass auch der Leser, der mit W. noch nicht vertraut ist, vorzüglich auf die Lektüre des Katechismus vorbereitet wird.
in: Theologische Literaturzeitung 139 (2014) 5
Zum Weiterlesen:
Vortrag von W. Vögele im Christian-Wagner-Haus „Verdichteter Glaube bei Goethe, Hebel und Wagner“
unter http://theomag.de/93/wv15.htm