Vortrag am 11. 3. 2018 im Christian Wagner-Haus

Lars-Broder Keil

„Ein Anarchist reist nach Warmbronn“
Gustav Landauer und seine feurigen Gespräche mit Christian Wagner

 

Dies ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Begegnung und Beziehung, die von Freude, Trauer und Liebe gekennzeichnet ist – also vom Leben.

Am Morgen des 15. Februar 1918 wird der Tod des Dichters Christian Wagner festgestellt. Bereits in der Abendausgabe von gleichen Tag können die Leser des „Berliner Tageblatts“ einen Nachruf lesen, in dem es unter anderem heißt:

„In dem Mann, der hinter dem Pflug einherschritt, lebte eine durchaus erdgebundene Dichterkraft, eine wundersame, nachdenkliche, beinahe grüblerische Begabung und ein klar und farbig gestaltender Sinn. (…) Die Verse, die er auf dem Acker niederschrieb, während er nach schwerer körperlicher Arbeit ruhte, sind feiertäglicher Stimmung voll. Es sind Dichtungen, die weit über die Enge der Heimat, ja über die Welt des Erlebbaren hinaus in geistige Bezirke greifen, die für einen „Bauerndichter“ nicht gerade naheliegen. (…) Literarische Kreise begannen sich für ihn zu interessieren.“

Zu diesen Kreisen, die sich für Wagner interessierten, gehört auch der Friedrichshagener Dichterkreis, zu dem wir den Schriftsteller, Kulturphilosophen und Anarchisten Gustav Landauer zählen können.

Beim Blick in seine Korrespondenz unmittelbar nach dem 15. Februar ist kein Hinweis auf Wagners Tod zu finden. Das muss man Landauer nachsehen, denn nur eine Woche später, am 21. Februar 1918, stirbt seine Frau Hedwig Lachmann, was Landauer natürlich sehr erschüttert. So schreibt er am 26. Februar aus Kulmbach (Schwaben) an seinen Freund Fritz Mauthner:

„Nichts fällt mir jetzt schwerer als Schreiben, viel schwerer als Reden. Auch schreibe ich jetzt noch an keinen Menschen. (…) Sie war hier ganz glücklich, harmonisch und gesund; und das Entsetzen des Krieges parierte sie mit aktiven Kräften und mit ihrer Einigkeit mit mir bis ins Innerste. (…) Dann kam die Lungenentzündung mit so ungeheurer Gewalt, dass das Herz nicht Stand hielt.“

Das Ehepaar Landauer und den Dichter Christian Wagner verbindet eine besondere Beziehung, die ihren Anfang im Jahr 1899 nimmt:

In den letzten Monaten vor der Jahrhundertwende ist der 29-jährige Gustav Landauer (1870–1919) vor allem ein unglücklicher Mensch in seiner bislang größten Lebens- und Schaffenskrise. Die Ehe mit der Schneiderin Margarethe (Grete) Leuschner kriselt, verstärkt durch den Tod einer Tochter und eine neue Liebe. Am 28. Februar 1899 hat Landauer die Lyrikerin und Übersetzerin Hedwig Lachmann (1865–1918) bei einer Lesung in Berlin kennengelernt. Als seine Frau einen seiner Liebesbriefe entdeckt, kommt es zum endgültigen Bruch. Am 4. Mai 1899 zieht Landauer aus der gemeinsamen Wohnung in Friedrichshagen aus und verlässt auch den Ort.

Zudem steht ihm eine mehrmonatige Haft im Strafgefängnis Tegel bevor. Landauer hat sich für einen wegen Mordes verurteilten Barbier eingesetzt, der 1899 seit 16 Jahren in Haft sitzt und den er für unschuldig hält. Deshalb hat er wiederholt und öffentlich den zuständigen Polizeikommissar beschuldigt, bei der Untersuchung wichtige Dokumente gefälscht zu haben – „verleumderische Beleidigung“ ist das, hat ein Gericht entschieden.

Das wiederum lässt die ohnehin angespannte finanzielle Lage Landauers noch prekärer werden. Sein Vater, ein Schuhwarenhändler, hat die Zahlungen an seinen Sohn schon länger eingestellt, wegen der, wie er findet, nicht standesgemäßen Ehe mit Grete. Landauers Haupteinnahmequelle, die Zeitung „Sozialist“, droht durch die Haft zu versiegen. Tatsächlich wird das Blatt Ende 1899 eingestellt.

Einziger Lichtblick ist für ihn Hedwig Lachmann, die er mit Liebesbriefen geradezu überschüttet. Lachmann wird 1865 in der Provinz Pommern als Tochter eines Kantors geboren. Sie besteht bereits mit 15 Jahren ihr Examen als Sprachlehrerin in Augsburg, geht später als Erzieherin nach England, lässt sich in Dresden nieder, um anschließend in Budapest zu arbeiten. 1889 zieht Hedwig Lachmann nach Berlin, wo erstmals Übersetzungen von ihr erscheinen.

Am 6. Mai 1899 schreibt Landauer ihr:

„Der Abschied von meiner Frau war so, dass wie beide stolz darauf sein dürften: Bitterböse Tage waren vorausgegangen.“ Aber er sei auch ein „Liebender mit gewaltiger Sehnsucht im Herzen“. – „Hedwig Lachmann, ich habe mich redlich geprüft, diesmal bin ich es selber, der Sie fürs Leben zur Gefährtin haben will, Sie ganz und gar.“

Doch die Angebetete ziert sich. Landauer versucht es mit romantischem Beiwerk oder einem „emotionalen Türöffner“, wie Ulrich Linse das formuliert, Mit Gedichten. Am 25. Mai 1899 notiert er am Ende seiner Zeilen: „Das leere Blatt sei mit ein paar schönen Versen Christian Wagners, des schwäbischen Bauern beschrieben.“ Es sind nachdenkliche Verse, sie so beginnen: „Es war ein Glückstag heute, ich glaub es nimmermehr/Es ging der Tag vorüber so kalt und freudenleer […]“. Wenige Tage oder Wochen später zitiert Landauer erneut Wagner-Verse. Offenbar mit Erfolg, zumindest, was die Aufmerksamkeit Hedwigs für Wagner betrifft. Denn Hedwig erbittet Bücher von ihm, später wird sie über ihren ersten Eindruck schreiben: „Seine Gedichte haben mich tief ergriffen, ohne dass ich mir von seiner Person die geringste Vorstellung machen konnte.“

Es ist nicht die erste Berührung der Friedrichshagener mit Wagner, die zu jener Zeit eine wichtige Rolle i